Plattschuss aktuell: Unwertklauberei

Soeben ist das Unwort des Jahres bekanntgegeben worden. Ach, es ist schon ein Kreuz mit dieser unserer Sprache. Alle Nase lang wird sie heutzutage missbraucht und keiner kann mehr wirksam dagegen einschreiten. Früher am Stammtisch, das waren noch Zeiten. Da konnte man gegen dummes Geschwätz stante pede oder genauer stante manu eingreifen, aber wie will man heutzutage so einem Blogger den Mund verbieten oder besser gleich polieren? Da ist dem Sprachverfall inzwischen Tür und Tor geöffnet oder modern betrachtet Netz und Welt. Gut, dass wir eine Instanz haben, die die schlimmsten Verfehlungen überwacht und öffentlich verpönt.
Genervt hat uns 2012 ja so manches. Anglizismen, Kanackizismen und dann diese Euphemismen, diese Schönfärberei, besonders in der Politik. Da weiß man gar nicht wo anfangen. Bevor man sich bei der ganzen Unzufriedenheit genau überlegt hat, was einen bei der Politik am meisten stört, sind die Wahllokale meist schon wieder zu und die Euphemisten wieder fleißig am Uminterpretieren der lauen Ergebnisse.

Also, wie heißt nun das Wort, das uns 2012 am meisten genervt hat?
„Opfer-Abo“!
Wie bitte, was? Nie gehört. Wenn die Jury, bestehend aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten, in ihrer Begründung nicht gleich die Quelle mitliefern würde, wüsste keiner wann und wo das Wort jemals gefallen war. Und, wer hats gesagt? Natürlich, der Kachelmann wars. Das freigesprochene Opfer der unbestätigten Vergewaltigungsanklage. Meint der etwa sich? Nein, i wo. Er war in Interviews der Ansicht, dass Frauen in unserer Gesellschaft bevorzugt würden, wenn es um Schuldzuweisung ginge. Aha! Und wen interessiert das? Oder wen stört das, was Kachelmann mal gesagt hat? Der Mann der wohl vornehmlich für die Flapsigkeit in seinen Moderationen bekannt geworden war, der also ein anerkannter Quatschkopf ist, der soll jetzt das Unwort des Jahres geprägt haben?
Ach, es gehe der Jury nicht nur um die Verbreitung der schlimmen Wörter (diesmal beruht die Wahl nämlich auf einer einzigen Einsendung), sondern es gehe insbesondere auch um das Maß der Unangemessenheit. Frauen würden hier unter Generalverdacht gestellt und das verstoße nicht zuletzt auch gegen die Menschenwürde tatsächlicher Opfer. Und wenn man bei Google schaue, fände man das Wort schon ein paar mal.

Hmm. Das Argument, die Qualität des Unwerts dieses Unworts ginge vor der Quantität seines Gebrauchs, bedeutet doch, wenn der Gedanke konsequent weiter gedacht wird, dass die Jury demnächst gar keine Einsendung mehr braucht, sondern sich selbst ein ganz schlimmes Wort ausdenken kann und es dann veröffentlicht, damit es ja niemand ausspreche.
Und abgesehen davon, gab es 2012 wirklich keine schlimmeren Wörter, die zudem häufiger gebraucht wurden? Wörter, die wir wirklich nur los werden, wenn sie aktiv in die Ecke gestellt werden? Und ist dieses Unwort überhaupt ein Wort?
Schön ist eine Bindestrichkombination sicher nicht, aber geschenkt, nehmen wir an es sei es ein „Wort“. Stören tut allerdings noch was ganz anderes. „Opfer-Abo“ – das bedeutet doch genau betrachtet: „Abonnement auf Opfersein“. Seltsam, nicht? Aber die andere Deutung des Begriffs: „Abonnement drauf Opfer zu bekommen“ (wofür auch immer), die kann noch weniger gemeint sein. Das Unwort des Jahres bedeutet also im Klartext: „Dauerhafter Anspruch darauf, regelmäßig Opfer zu werden“. – Also, wenn es so etwas gäbe, das wäre wirklich schlimm, weniger wörtlich als mehr der Sache nach. Da wären dann auch nicht die Wortschützer sondern eher das Verfassungsgericht angezeigt, einen solchen Zustand zu verurteilen, egal wie der dann genau hieße.

Es wird klar, was der Kachelmann eigentlich meinte war: Opfer-Rollen-Abo, der Quatschkopf.
Aber anstatt diesen haarsträubenden Ausdrucksfehler eines Berufssprechers zu monieren, stürzen sich die Wortrichter auf den vermeintlichen Bedeutungsinhalt.

So, jetzt haben wir ein Unwort 2012, das einerseits gar nicht richtig ist, das heißt wir prügeln auf ein unschuldiges Opfer ein und andererseits verleihen wir dem Bösgemeinten mit der Wahl zum Unwort erst so richtig Gehör. Glückwunsch an die Jury und die zuständigen Germanisten der Universität Trier und TU-Darmstadt.

Im Grunde ist doch „Unwort“ schon ein Unwort. Und beim nächsten Mal machen wir nicht wieder den gleichen Fehler und schenken dieser blöden Wort-Im-Mund-Herum-Dreherei überhaupt erst Aufmerksamkeit. Dann schon lieber den verprellten Schleckerfrauen und Schleckerfrauinnen.
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