Plattschuss aktuell: Leipziger Einerlei

Der Wörteremazipationsstreit ist alles andere als neu, aber aktuell ist weiterhin die Misere, die er auslöst, denn wer weiß mittlerweile noch, was eigentlich richtig sein soll?

Unvergesslich daher seit einiger Zeit, die so leichtfüßige, wie entwaffnende kabarettistische Begrüßung, eines Abends im Wirtshaus des Vertrauens: „Liebes Publikum, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Krankenschwestern und Krankenschwesterinnen …“

Im Grund ist dem nichts hinzuzufügen. So ein Spruch vermag das Immunsystem gegen die Wirkung von Wortunkraut wie „RentnerIn“ oder „Rentner/innen“ für eine ganze Weile zu stärken. Aber immer wieder kocht eine/r den Sud auf, bis es doch wieder im Hals kratzt. Sind das nun endlich die letzten Zuckungen einer scheidenden Mode oder hört das nie auf?

Den intellektuellen Höhepunkt der Diskussion, um das scheinbar männliche Geschlecht vieler Wörter und Worte, setzte vor knapp zwei Jahren der – oh pardon: die – erweiterte Senat der Uni Leipzig. Mit 600 Jahren Männerdominanz bei Personenbezeichnungen und mit „Professor/Professorin“ sei jetzt Schluss. Es gäbe fortan nur noch die Professorin und den Professorin. Mit dieser Sprachregelung hielt sie sich im Lande für die klare Vorreiterin.

Und sogar der Gesetzgeber hat reagiert. In der prinzipiell überaus lesenswerten StVO heißt es beispielsweise (§1, Abs. 2) nicht mehr:

„Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, daß kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“

Stattdessen heißt es jetzt:

Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“

Fraglich bleibt hier zwar, ob ein Anderer auch neutralisiert wurde. Steckt dahinter „das“ Andere, das neutrale gefährdete Person? Denn übersehen hat der Gesetzgeber den „Anderen“ bestimmt nicht. Höchstens sich der Entscheidung gesträubt. Oder?
Wer weiterliest wird noch verwirrter, denn gleich in der Neufassung des übernächsten Paragrafen (§3, Abs. 2a), die konsequent auch den Fahrzeugführer eliminiert, taucht der andere böse Geist durch die Hintertür schon wieder auf:

Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.“

Hier wurde doch glatt der verteufelte Fahrzeugführer mit dem „Verkehrsteilnehmer“ ausgetrieben. Kapituliert hat er also, der Gesetzgeber. Ist doch klar, ist ja auch ein Wahnsinn. Wenn man mal anfängt, hört das ja gar nicht mehr auf.

Also stellt sich doch die Frage, was soll das ganze dann überhaupt?

Heute von Emazipation der Frau zu sprechen, ist schon fast aberwitzig oder gestrig, weil die Rolle der Frau, jedenfalls in unserem Kulturkreis, längst gleichberechtigt ist. Manche, besonders Frauen, sagen eher, die Emanzipation, also die der Frau, sei inzwischen über das Ziel hinausgeschossen.
Ob die Verteilungshäufigkeit von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen ausgeglichen ist, und ob Regeln hier hilfreich sein können, das sind andere Fragen, die, zu erörtern, hier nicht der rechte Platz ist. Aber offensichtlich scheint, dass gesellschaftliche Entwicklung langsamer vonstatten geht, als die geistige, kulturelle.

Hilft es dann noch, wenn ein Wort männlichen Gechlechts, bloß durch eine konstruiert neutrale oder seine weibliche Form ersetzt wird? Der Emanzipation jedenfalls nicht, denn „Professorin“ dreht nur den Spieß um, bleibt also genauso im Ungleichgewicht. Und diese ästhetisch zumindest fragwürdigen Zwitterwortkonstruktionen, verunglimpfen beide Geschlechter gleichzeitig.

Sprache entwickelt sich, durch kulturellen Gebrauch, durch alltäglichen Gebrauch, durch beruflichen Gebrauch, durch internationalen Austausch und auch durch Reform. Dies geht teilweise rasend schnell, teilweise schleppend langsam. In unseren Köpfen bewegen sich manche Dinge langsam, nämlich dann, wenn wir sie liebgewonnen haben. Ebenso entwickeln sie sich schnell, wenn wir an neuem Gefallen gefunden haben, manchmal nicht schnell genug.

Für den Sprachverwender entsteht ein Dilemma. Wen möchte er bedienen, wem möchte er gefallen. Dort, wo alle eine gemeinsame Vergangenheit haben, aber nicht alle mit allen erdenklichen neuen Wortvarianten warm werden, wo Goethe, Mann, Tucholsky oder Hesse noch Gefallen finden und vor allem verstanden werden, auch wenn sie nicht man/frau oder Jedermann/-frau oder gar JederIn schrieben, dort sollte doch auch der Mensch, der Sprache und ihre Ästhetik verehrt, nicht jeder Mode, jedem Trend folgen müssen, um sich verständlich zu machen.

Übrigens funktioniert unsere Sprache mit vielen Auslassungen. Das wird oft übersehen. Wörter die nur gedacht werden, bestimmen dennoch das Geschlecht: „Jeder gefragte, antwortet das gleiche.“  Jeder ist männlich, weil in der Regel „Jeder gefragte Mensch, …“ gemeint ist, nur wird Mensch nicht ausgesprochen oder ausgeschrieben, weil es selbstverständlich ist. Ebenso kann aber auch: „Jede gefragte, antwortet das gleiche.“ richtig sein, wenn sich aus dem Zusammenhang ergibt, dass beispielsweise „jede Person“ gemeint ist. Fixe Regeln für ein Wort, in diesem Fall: „Gefragte“ (dann also substantiviert), würden diese Unterscheidungsmöglichkeit aufheben. Dies ist ein scheinbar unwesentlicher Fall, zeigt aber, dass die Tragweite solcher Wortänderungen weiter gehen können, als es zunächst scheint. Die hilflose Gesetzesänderung verdeutlicht dies auf andere dramatische Art nur zu gut.

Übrigenser leben wir in der Praxis mit solchen Ungenauigkeiten schon länger und es geht ohne Gesetze und Beschlüsse. Beispielsweise heißt es im Norden Deutschlands meistens „das“ Radio und im Süden „der“ Radio. Und bei aller Verwunderung brauchen wir doch keine Regelung, um uns zu verstehen. Eine Regelung, die beides zu „die“ Radio wegbügeln würde und damit dem norddeutschen (Sprechenden) genau genommen den Radioapparat und dem süddeutschen das Radiogerät wegnähme.

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